in puncto

Aus des klaren Wassers Tiefe

Ausstellungeröffnung Galerie Kramer
Bremen
21. März 2006
„Aus des klaren Wassers Tiefe ...“

Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 21. April 2006

Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, liebe Kunstfreunde,

eine Ausstellung mit 24 Gemälden von Pirjo Niiranen hat uns heute abend hier in der Galerie Kramer zusammengeführt. Viele von Ihnen kennen sie als Mensch und Künstlerin schon seit vielen Jahren, haben ihren künstlerischen Weg verfolgt und besitzen Werke von ihr. Ich dagegen habe Pirjos Niiranens Arbeiten erst im letzten Jahr kennengelernt, war aber sogleich von ihnen gefangen genommen. Dennoch hoffe ich, Sie mit meinen einführenden Worten nicht mit längst Bekanntem zu langweilen.

Pirjo Niiranens Werke faszinieren schon auf den ersten Blick durch eine klare Komposition aus wenigen, harmonisch ausbalancierten und in sich reich strukturierten Farbflächen. Zu den Seiten ist diese oft nur durch den Bildrand begrenzt, weshalb wir die Bilder als Ausschnitt eines endlosen Raumes erleben. Darin eingebunden sind auf das Elementarste reduzierte Formen oder einfache Bildzeichen aus der erfahrbaren Welt. Sie erscheinen sparsam oder in rhythmisch belebter Wiederholung. Wir können sie ohne spezifisches Vorwissen in der Mehrzahl problemlos identifizieren, - als Fisch, Boot oder Haus in den älteren, - als tierartige Wesen, Gefäße, Kronen oder Kleid- bzw. Hemdformen in den jüngsten Werken.

Diese sachbezogene Benennung der Bildelemente deckt zugleich eine der größten Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Kunst auf, - und man sieht sich mit ihr gerade bei Pirjo Niiranens Arbeiten konfrontiert. Worte, wie ich sie eben mit Boot, Gefäß oder Kleid verwendete, können die Bildzeichen nur unbefriedigend beschreiben, treten diese uns doch in ganz eigener Verfremdung und Verwandlung entgegen. Deshalb kann sich an sie auch eine ganze Welt von Assoziationen knüpfen, die vom ersten Moment an gespürt wird. Dies verleiht den Gemälden ihren spezifischen Zauber, der den Betrachter lange oder immer wieder vor ihnen verweilen läßt. Die vertrauten Formen weisen ihm den Weg zum Verstehen und lassen zugleich der eigenen Phantasie Spielraum. Um sie nicht einzuengen, hat die Künstlerin ihren Bildern auch keine Titel gegeben.

Rücken wir uns Pirjo Niiranens neueste, erst in den letzten Monaten entstandene Arbeiten vor Augen: Sie offenbaren uns keine völlig neue, wohl aber eine stetig vorangehende, sich neue Bildwelten erobernde Künstlerin. Wir sehen, ihre Farbenpalette ist reicher geworden. Neue Töne wie Rosa, leuchtendes Grün oder Orange sind den naturverbundenen Farben hinzugetreten. Motive, mit denen sie früher gelegentlich – etwa in Papierarbeiten – experimentierte, dominieren jetzt und entführen in eine neue Traumwelt, - so möchte ich es nennen, - Sie mögen eine andere Bezeichnung treffender finden. In dieser erscheinen nun die Formen, die etwa als Kleid identifiziert werden können. Sie erinnern uns an den Menschen - oder genauer: an die Frau. Sie repräsentieren den Träger und seine Welt ohne konkret zu werden. Kleidungsstücke können verhüllen und wärmen, durchsichtig nur scheinbar schützen, ihre Form kann von Ruhe oder Bewegung zeugen. Sie können in der Farbigkeit zart, aber auch dominant geschildert sein, sich in den Bildkontext einfügen oder darin behaupten. Die Gestaltungsbreite weiß die Künstlerin wohl zu nutzen, um den Motiven immer neue und andere Ausdruckskraft zu verleihen.

Sie zeigt sie allein oder in Kombination mit den anderen, schon genannten Motiven wie den tierartigen Wesen, die sie ebenfalls in Farbigkeit und Gestalt unterschiedlich charakterisiert. Man vermag sie in vogel-, reh- und fuchsartige Tiere zu unterscheiden. Sie selbst empfindet sie als Waldwesen. In den Bildern erscheinen sie oft weich und dünnhäutig, zeigen sich in spielerischer oder neugieriger Bewegung. Dazu mögen dann schalenartige Formen in mehr oder weniger Präsenz treten, die eine Verbindung zwischen Mensch und Tier andeuten, an ein Geben und Nehmen, an Einklang und Vertrauen denken lassen. Die Wesen können aber auch scharf und dominant vor Augen gebracht sein und als Eindringlinge und Bedrohung wahrnehmbar werden. Ein anderes Motiv – die Krone – spielt die Kompositionen mit Nachdruck in die Welt der Legenden und Träume hinüber. Hierher gehören auch die kreisförmigen Elemente, die sich im Raum zu bewegen scheinen und Beziehungen vermitteln.

Lassen Sie mich anhand einiger Beispiele konkreter werden: Eines der hier präsentierten Gemälde zeichnet sich durch eine helle, reich abgestimmte Farbigkeit aus, die sich allerdings in den beiden Bildhälften sehr anders artig darstellt. So stehen warme, aufgehellte Gelbtöne mit Spuren von Rot auf der einen, hell gebrochene, kühlere Rottöne auf der anderen Seite. Links erblickt man konkordant zur zarten Farbigkeit ein weich geformtes Wesen über einer Schale, so als nehme es daraus Nahrung auf. Ruhe und ungetrübtes Vertrauen kommt hier zum Ausdruck. Auf der anderen Bildseite wird eine hochgestreckte Form, die wir als ein Kleid identifizieren können, nach rechts getrieben. Sie scheint sich kaum behaupten zu können. Unterschiedliche Emotionen sind in diesem Gemälde in ein spannungsvolles Gegenüber gebracht, und um dies noch näher zu erkunden, möchte man gern noch lange vor dieser Malerei verweilen.

In anderen Gemälden entscheidet sich Pirjo Niiranen für die eine oder andere Stimmung oder bewegt sich dazwischen. Ein sparsam gestaltetes Gemälde – Sie sahen vor dem Eingang - verbildlicht für mich eine in den Raum eindringende Gefahr: Ein scharf gezeichneter, fuchsartiger Kopf mit aufrecht gestellten Ohren tritt von links in das Bildfeld ein. Er steht in eindringlichem Kontrast vor einem leuchtend orangefarbenem Grund, der keine eine Begrenzung spüren läßt, die Entspannung verheißen könnte.

Allerdings habe ich den Eindruck, daß eine ‚Welt im Einklang’ eher das die Künstlerin herausfordernde Thema ist. Diese spüre ich deutlich auch in dem dunklen Bild, das in einem nicht greifbaren Raum Mensch und Tier zusammenführt, wobei sie mir diese knappen konkreten Worte für das geheimnisvolle Bild verzeihen mögen. Keine Form beherrscht die andere in dieser Welt voll leiser Melancholie, geschildert in feinen Nuancierungen von Blau und Grau, die in wechselnden Lichtverhältnissen immer wieder anders zu erleben sind und dabei auch das Gleichgewicht der Formen, Lebendigkeit vermittelnd, variieren.

In eine Welt der Harmonie versetzen uns auch viele von Pirjo Niiranens älteren Bildern, von denen einzelne hier zu sehen sind. Anders als die jüngsten Arbeiten, in denen ich eine aus der Innenschau gefundene, phantasievoll und spielerisch belebte Welt verbildlicht sehe, sind diese von Eindrücken der sichtbaren Landschaft geprägt, meist einer wasserreichen Natur, die sie oftmals auf die Grundelemente Himmel, Wasser und Boden reduziert und zu unterschiedlichen Stimmungsbildern variiert. Auch in diesen künstlerisch umgesetzten Natureindrücke können einzelne Motive aus dieser Welt wie Boote oder Fische bedeutungsvoll akzentuiert sein. Sie können auch als Bildthema dominant sein und eine besondere Wirkung noch durch die eigentümliche Mischung unterschiedlicher, künstlerischer Techniken entfalten.

Pirjo Niiranens künstlerisches Arbeiten ist von Neugierde und intuitiv getroffenen Entscheidungen geprägt. Das zeigt sich in ihren Bildthemen genauso wie im Umgang mit den künstlerischen Techniken. Eigentlich beginnt es schon mit der Entscheidung für das Bildformat. Das ruhige Quadrat und das Hochformat gehören schon lange zu ihrem Vorrat. Viele ihrer neuen Bilder zeichnet eine erzählerische Potenz aus, die sie jetzt auch das deutliche Querformat entdecken ließ.

Ein Geheimnis von Pirjo Niiranens Arbeiten liegt gewiß in der Kombination unterschiedlicher künstlerischer Techniken, die ineinander und aufeinander wirken. Die Künstlerin trifft auch hier ihre Entscheidungen ganz spontan - erst während des Schöpfungsprozesses - und dieser kann aus vielen aufeinander folgenden Arbeitsschritten bestehen. Am Ende sind Kunstwerke entstanden, in denen eine Vielzahl von Schichten, oft ganz unterschiedlicher Farben und Töne übereinanderliegen. Das vermittelt eine fast unerschöpfliche Tiefe, die durch partielle Mischungen, Aussparungen, Auswischungen oder das Durchscheinen darunter liegender Farbschichten entsteht. Sie setzt die Farbe auch über eine aufgegebene Komposition, deren Struktur sichtbar bleibt und im Motiv aufgenommen wird. Sie variiert die Oberflächenstruktur durch unterschiedlich dicken Auftrag. Dort, wo Farbfelder aneinanderstoßen, bleiben häufig schmale Zonen eines deutlichen Neben- und Übereinanderliegens sichtbar. Sie nun führen ganz unmittelbar die „Vielschichtigkeit“ der Malerei vor Augen, die auch in einem übertragenen Sinne interpretiert werden darf. Ihre Arbeiten prägen weiter kraftvoll gesetzte, graphische Strukturen, die mit Graphit- oder Kohlestiften aufgetragen sind, partiell von Farbaufträgen wieder zurückgenommen sein können. Sie betonen, strukturieren oder akzentuieren Formen und sie binden diese zart schwebend in den Bildraum ein.

Zusätzliche Lebendigkeit fügen den Gemälden schließlich noch ganz eigentümliche Strukturen hinzu, die aus dem spezifischen Farbauftrag resultieren. Hier geht Pirjo Niiranen ihren ganz eigenen Weg, vorbei am traditionellen Malerwerkzeug Pinsel und Palette. Sie trägt zunächst die Farbe – es ist Ölfarbe - ungemischt auf die Leinwand auf, wo sie diese dann mit kleinen Tüchern – und davon benötigt sie pro Bild eine ganze Menge – wischt, reibt, rollt, knetet oder auch wieder abnimmt. Die Künstlerin spricht denn auch lieber von einem Modellier- als von einem Malprozeß. Die vielen Farbschichten wirken ineinander und geben der Flächen ihre ganz eigene Tiefe. Ihre Farbigkeit wird, wie ich schon sagte, in wechselnden Lichtverhältnissen unterschiedlich wahrgenommen und verdeutlichen die Vielschichtigkeit des Seins.

Aus des klaren Wassers Tiefe ...

so hat die Künstlerin ihre Ausstellung überschrieben. Diese, viel Vorstellungsraum lassenden Worte stammen aus dem finnischen Nationalepos „Kalevala“, zu dem Pirjo Niiranen schließlich griff - neugierig auf die mögliche Inspirationsquelle der sie seit jüngster Zeit interessierenden Motive. Vieles von ihr in Bildsprache Umgesetztes fand sie darin wieder. Die wohl mehr unbewußte als bewußte kulturelle Prägung durch ihre Heimat Finnland mag sich darin zeigen. Für sie selbst barg dies eine gewisse Verblüffung, lebt sie doch schon seit mehr als 30 Jahren in Deutschland und hatte wenig frische Erinnerung an das umfangreiche literarische Werk.

Der Hinweis auf das finnische Epos, das sicher nicht zum allgemeinen Bildungsgut von uns heute - hier in Deutschland - gehört, soll Sie nicht befremden. Pirjo Niiranen stellt uns keine in ihrem Charakter fremde, unverständliche Welt vor Augen. Wäre das so, würden uns ihre Bilder nur dekorativ ansprechen, aber kaum emotional berühren und fesseln. Von ihren Gemälden aber lassen wir uns gern „forttragen“ und erleben Schutz und Vertrauen, auch Bedrohung, harmonisches, spielerisches Miteinander, Einsamkeit oder Ruhe. Sie zeigen eine von Geheimnis behaftete Bildsprache, die unsere Phantasie anregt und zu einer durch Kraft und Klang der Farben und Formen inspirierten Reise in die eigene Traum- oder Erinnerungswelt einlädt.

Dr. Annette Kanzenbach